Vom Heavy Metal zur Oper: Jean-Michel Ringadoo
Ein Blick reicht, dann wird klar: Jean-Michel Ringadoo ist ein waschechter Mauritier mit kreolischen Wurzeln. Mit seinen langen Haaren, seinem Style und seiner Vorliebe für Motorräder könnte er daneben glatt als Metaller durchgehen. Letztes Jahr sang er jedoch die Rolle des charmanten Liebhabers Camille de Coutançon in der mauritischen Operettenproduktion von Lehárs La Veuve joyeuse. Nun war der Tenor für zwei Monate das erste Mal in Deutschland und gleich Teil eines Opernchores. Seit 2007 singt er solistisch im klassischen Fach. Wie er zu dieser Musik gekommen ist, liegt so fern und doch so nah: Er wurde als 18-Jähriger der Sänger der Heavy Metal-Band „Craze“. Ein bisschen „crazy“ ist das schon, aber eben auch sehr mauritisch-bunt. Welche Entwicklungsschritte lagen dazwischen? Und wie erlebte Jean-Michel seinen Aufenthalt in München?
Gute Ohren und eine hohe, starke Stimme
Bis zu seinem 18. Lebensjahr wusste Jean-Michel noch nicht einmal, dass er überhaupt singen kann oder möchte. Dass er damit anfing, war reiner Zufall. Ein Schulfreund, der eine Metal-Band gründen wollte, fragte ihn, ob er der Frontsänger sein wolle. Er probierte es. Es funktionierte aber zunächst nicht gut, weil er nicht wusste, was er tun sollte. Doch da er ein gutes Gehör hatte, improvisierte er schnell hohe Melodien zu dem Hardrock-Sound. Das klang gut, und so lernte er auf eigene Faust das Singen. Nach zwei Jahren ging die Band getrennte Wege, Jean-Michel wurde IT-Berater, doch er sang weiter.
Karaoke und deutsch-mauritischer Austausch als Sprungbrett
Neben der Arbeit coverte Jean-Michel mit seiner hohen ausdrucksstarken Stimme Rocksongs und trat in Karaoke-Clubs auf. Eines Tages sprach ihn der Clubmanager an, ob er nicht in einem Cabaret mitsingen wolle. Auch eine Frau sprach ihn auf seine Stimme an und fragte, ob er klassisch singen würde. Erst dann begann sich Jean-Michel für klassischen Gesang zu interessieren. Er sang zwei Jahre lang im Chor des Conservatoire und lernte Repertoire kennen. Anschließend nahmen sich erst Véronique Zuël und dann vor allem Katrin Caine seiner an. Er wurde 2009 Teil ihres Chores und erhielt vier Jahre Einzelunterricht. Es folgten kleinere Solo-Auftritte, auch gemeinsam mit Katrin. Beide stellen stimmlich und visuell ein sehr schönes deutsch-mauritisches Opernpaar dar, genauso wie sich auch Katrin und ihr jüngerer Schüler Kevin Sky diesbezüglich gut ergänzen.
Symbiose von Oper und Metal
Seit 2013 bildet Jean-Michel im Eigenstudium seine Technik weiter aus und interessiert sich dafür, wie der menschliche Körper beim Singen funktioniert. Als einer von wenigen kann er zudem seit ungefähr drei Jahren auf Mauritius allein von seiner Tätigkeit als Sänger leben. Er unterrichtet inzwischen selbst und tritt in vielen Konzerten auf. 2017 und 2018 reiste er für Auftritte sogar nach Ghana. Bei den seit 2009 wieder stattfindenden Opernproduktionen übernahm er immer größere solistische Rollen, z.B. 2012 Gastone in La Traviata oder 2015 Pluton/Aristée in Orphée aux Enfers.
Privat ist er sich und dem Metal treu geblieben. Er fährt Motorrad, kleidet sich oft der Metal-Szene zugehörig mit Bandshirts, hat Tattoos und besucht Metal-Konzerte. Vom High Pitch-Gesang und Screaming zum Heldentenor ist es ja auch fast nur ein Katzensprung. Es gibt sowas wie Opera Metal, Iron Maidon musizierte mit dem Operntenor Iñigo Irigoyen zusammen, Nightwish interpretierte einen Phantom of the Opera-Track, und auch in einigen Opern (sogar diesen April in Nonnweiler) und Inszenierungen werden solche Genregrenzen zugunsten einer neuen Ästhetik verschmolzen. Vielleicht auch eine Option für Mauritius?
Mauritius zu Gast in München und Steyr
Die Opernproduktion L’Ancêtre der Münchner Theaterakademie August Everding von Camille Saint-Saëns war nun der Anlass, um 2019 erstmals ins opernaffine Deutschland zu kommen. Jean-Michel konnte mit Hilfe von Eva Pons und dem Verein hierher reisen, dem Chor bei der französischen Aussprache helfen und mit auf der Bühne des renommierten Prinzregententheaters stehen. Eva, Jean-Michel und Katrin Caine, die ebenfalls im März München besuchte, gaben noch ein gemeinsames Konzert im österreichischen Steyr. Sie spielten und sangen unter anderem das schöne mauritische Volkslied La Rivière Tanier als Duett. Moderiert von unserem Geschäftsführer Martin Hollmann wurde dadurch bei den dortigen RotarierInnen für Oper auf Mauritius und die „Freunde“ geworben.
Fußball, Brezeln, Wandern im Schnee, Metal, Oper
Neben dem musikalischen Trubel konnte Jean-Michel jedoch auch München und Umgebung kennen lernern. Er war bei einem Fußballspiel in der Allianz Arena (FC Bayern gegen Wolfsburg) und spazierte im Schnee in Oberaudorf. Natürlich standen auch hier Musik, darunter sowohl Metal als auch Oper, auf der To do-Liste: Er besuchte ein Metal-Konzert, ein Konzert von Scott Bradlee’s Postmodern Jukebox und eines von Roland Strobels Band sowie die Opernvorstellungen Carmen und La Fanciulla del West in der Bayerischen Staatsoper. Was Deutschland von Mauritius unterscheidet, ist besonders das Gefühl von Sicherheit, sagt Jean-Michel. Auf Mauritius fühle er sich längst nicht so sicher, und es gäbe mehr Unfälle im Straßenverkehr. Unterschiede bezogen auf die Opernlandschaft, bis auf die offensichtlichen strukturellen, würden ihm jedoch nicht auffallen. Er arbeite jetzt schon seit Jahren mit deutschen MusikerInnen, wie Katrin Caine oder Martin Wettges zusammen, sodass die Oper schon längst wieder ein Teil von Mauritius ist.
„Look at me and tell me how do I look like.“
Dennoch muss noch viel passieren. Mit uns und anderen Opern-Eingeweihten kann Jean-Michel ohne Probleme über seine Karriere als Opernsänger sprechen. Doch kommt das Thema in seinem Bekanntenkreis auf, fällt es ihm schwerer. Oper gilt unter der nicht-weißen mauritischen Bevölkerung oft noch als zur reicheren, weißen Bevölkerungsschicht gehörig und fremdartig. Seine häufige Reaktion darauf: „Schau mich an und sag mir, wie ich aussehe.“ — Der Blick verrät: Oper ist etwas für alle. Und damit lädt er so viele Leute wie möglich zu Konzerten und Vorstellungen ein. Von wem sollte man die Einladung zur Oper annehmen, wenn nicht von jemandem wie ihm, der daneben ursprünglich sogar Metaller ist. Noch besser wäre es, wenn in den Radiosendern klassische Opernmusik zu hören wäre, um den Bekanntheitsgrad zu erhöhen und den Zugang zu erleichtern, so Jean-Michel.
Nachwuchs, um die Oper auf Mauritius weiter zu streuen, ist aber zum Glück vorhanden, z.B. vertreten durch Kevin Sky, Brendon Jacquette und weitere GesangsschülerInnen und ChoristInnen, die bereits erreicht und begeistert werden konnten und zum Teil ebenfalls so vielseitige Lebensgeschichten wie Jean-Michel zu erzählen haben.
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