Sullivan Wettges

Die Philosophie des Regenbogens. Der Regisseur Gérard Sullivan

Es ist ohne Zweifel die Frage, die Gérard Sullivan am Häufigsten gestellt wird: Wie kommt es, dass ein katholischer Priester zugleich Opernregie macht? Oder genauer, wie im aktuellen Fall, macht Sullivan, katholischer Priester und jahrelang rechte Hand des mauritischen Bischofs, sogar Operettenregie. Gemeinsam mit Angela Brandt von der Dresdner Semperoper ist er verantwortlich für die Inszenierung der Veuve joyeuse. Spricht man indes mit dem älteren Herren mit schneeweißem Haar, den strahlenden Augen und dem gewinnenden Charme, erscheint einem diese doppelte Berufung, genau wie ihm selbst, sehr bald als das Natürlichste der Welt.

Doppelte Initiation

Angezogen fand sich der kleine Gérard bereits als Kind von beiden Welten gleichermaßen. Als Achtjähriger war er von der Zeremonie, den Düften, den Gewändern und dem Zauber des katholischen Ritus‘ so fasziniert, dass er, zum Erschrecken seiner Eltern, daheim im Wohnzimmer Priester spielte, Zeremonien feierte und Hostien verteilte. Kaum später machte er seine ersten Theatererfahrungen. Es war gleich der zweite Besuch in der Oper, der ihm, wie er sagt, die „ganze Magie“ des Theaters aufgehen ließ: eine Aufführung ausgerechnet der Veuve joyeuse. Kein Wunder, dass er es heute, grob sechzig Jahre später, als besondere Ehre empfindet, dieses in Mauritius äußerst beliebte Stück selbst zu inszenieren. Vor allem aber war es wohl dieselbe Saite, die Theater und kirchliche Zeremonie in ihm zum Schwingen brachten. Ausbilden ließ sich Sullivan dann allerdings als Theologe in Paris, während er sich die Theaterregie selbst beibrachte. Aber da das eine mit dem anderen eben eng verwandt ist, dürfte es ihm leicht gefallen sein.

Unter dem Zeichen des Regenbogens

Seine eigenen Musiktheaterprojekte wiederum entstanden nicht zuletzt aus dem sozialen Geist, der ihn als Pastor auszeichnet. Das Bild, das ihn sein Leben lang in seiner Arbeit angeleitet und motiviert hat, ist das des Regenbogens. Es dürfte kein reiner Zufall sein, dass auch die mauritische Flagge mit ihren vier Farben an einen Regenbogen erinnert. Zwar lautet die Erklärung, dass das Gelb die strahlende Sonne sei, das Grün die üppige Vegetation, das Blau natürlich das Meer und das Rot die Liebe in den Herzen. Mindestens genauso sinnfällig ist aber, dass sie die bunte Vielfalt der mauritischen Gesellschaft repräsentiert. Mauritius ist mit seinen europäischen, kreolischen, indischen und chinesischen Wurzeln und seinen diversen Religionen ein äußerst heterogenes Land. Es gehört zum Nationalstolz, dass es gelungen ist, all diese sozialen Gruppen erfolgreich zu einem Volk eigener Couleur zu einen. So symbolisiert die mauritische genauso wie die weltweit verwendete Regenbogenflagge einen sehr ähnlichen Gedanken: Diversität.

„Die wichtigste Aufgabe ist für mich, die Farben übergangslos ineinanderfließen zu lassen.“

Allein, Symbolik und Realität sind bisweilen zwei durchaus verschiedene Dinge. Und das gilt insbesondere zu der Zeit, als Sullivan, nach Mauritius zurückgekehrt, mit seiner Theaterarbeit auf der Insel begann. Anfang der Achtziger Jahre lag die Unabhängigkeit der Republik erst ein gutes Jahrzehnt zurück, und trotz der bunten Flagge klafften innerhalb der neu zusammengebrachten Gesellschaft nicht unerhebliche Gräben. Auch hier bemüht Sullivans scharfer Geist das Bild des Regenbogens: „Dort sind zwar alle Farben aufgefächert, aber sie sind zugleich streng voneinander geschieden. Für mich war es immer die wichtigste Aufgabe, die Farben übergangslos ineinanderfließen zu lassen.“

Sullivan Brandt

Sullivan und seine Co-Regisseurin Angela Brandt

Musiktheater als Völkerverständigung

Das Sprechtheater sei allerdings nie die Sache der Mauritierinnen und Mauritier gewesen – Musik, Gesang und Tanz dafür umso mehr. Und so begann Sullivan mit Konzerten und Tanzaufführungen, die sich bestens eigneten, die klaffenden Gräben zu überbrücken, insbesondere in der Jugendarbeit. Schritt für Schritt arbeitete Sullivan sich zum Musiktheater vor. Ein Stück, das dabei zentral für seine Arbeit war, war Andrew Lloyd Webbers Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat. Dafür fertigte er allerdings eine eigens Fassung auf Kreol an: Zozes ek so paldo larkansiel. Hier kehrt der Regenbogen (auf Französisch „l’arc-en-ciel“) bereits im Titel wieder. 1981 brachte er dieses Einigungs-Stück erstmals auf die Bühne. Seither wird es ununterbrochen alle zehn Jahre, 1991, 2001, 2011 und natürlich auch in drei Jahren, wieder aufgeführt.

Die erste Regenbogen-Oper

Ein ähnlicher Gedanke stand auch im Hintergrund, als er 2009 für die erste Produktion von Opera Mauritius Bizets Perlenfischer wählte. Das Stück ist auf Französisch, spielt aber im hinduistischen Sri Lanka. Es ist wie geeignet für typisch mauritische Tanzeinlagen und exponiert ebenfalls eine solche gesellschaftliche Synthese, wie sie Sullivan in seinen Bemühungen um die Einigung der jungen Republik immer vorschwebte. So ist es kein Wunder, dass sich der regieführende Priester über die Jahre eine enorme Popularität erarbeitet hat. Seine Inszenierung des Musicals Sister Act war im vergangenen Jahr ein derartiger Erfolg, dass es ein halbes Jahr später wieder aufgenommen werden musste.

Die mauritische Witwe

Nun also erarbeitet er die Veuve joyeuse. Und wieder geht es ihm um Mauritius. Der kleine Staat Marsovie, der sich sehr erfolgreich gegen das scheinbar übermächtige Frankreich auflehnt, ist unverkennbar in mauritische Farben getaucht. Die Dialoge, die Sullivan selbst geschrieben hat, sind im Falle der Marsovianer auf Mauritius-Kreol verfasst. Das ist sowohl ein äußerst wirksames dramaturgisches Mittel als auch ein wunderbarer Weg, mit dem Lehár’schen Werk die breite und diverse mauritische Bevölkerung zu erreichen. Leicht fallen dürfte letzteres aber auch durch die Musik selbst, die, als die universellste aller Sprachen, spielend alle sozialen Klüfte überwindet. Darüber hinaus ist die Witwe bereits eh eines der meistgespielten Werke der mauritischen Operngeschichte. Viele der Melodien sind auf Mauritius bis heute allgemein bekannt und beliebt.

Titelbild: Sullivan und der musikalische Leiter Martin Wettges diese Woche in Port Louis.

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