Domingue

Die Magie des Kulturkontakts

Die lustige Witwe ist Teil unseres nationalen Kulturerbes“. Ein Satz, der die europäische Leserin nicht überrascht – stammte er nicht von dem mauritischen Regisseur Gérard Sullivan, geäußert auf der Pressekonferenz zum Opera Mauritius Festival, das diese Woche mit eben Lehárs Veuve Joyeuse eröffnet wird. Allgemein beliebt in Nord wie Süd, verbindet die Operette seit einhundert Jahren die Kulturen. Und jetzt erneut: Seit Ende vergangener Woche ist das deutsche Orchester, die Opernakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes, vor Ort. Die erste Sitzprobe, als Mauritier und Deutsche zum ersten Mal gemeinsam musizierten, war für alle ein magischer und ergreifender Moment.

Sega-Szene

Die Sega-Szene in „La Veuve joyeuse“

Im Graben …

Die Tränen hätten ihm in den Augen gestanden, als er zum ersten Mal von dem 60 Mann und Frau starken Orchester begleitet wurde, berichtet einer der jungen Solisten. Wohl für alle Beteiligten war es ein Gänsehautmoment, mit über 100 Menschen gemeinsam zu musizieren. In der Tat ist in der jüngeren Geschichte von Opera Mauritius seit 2009 noch nie ein so groß besetztes Werk gespielt worden. Aber natürlich ist es nicht allein die schiere Größe des Klangkörpers, und auch nicht allein das Kribbeln jenes Moments, in dem bei einer Opernproduktion nach Monaten der Vorbereitung erstmals alles zusammenkommt. Für viele der mauritischen Sängerinnen und Sänger ist es auch eine seltene Gelegenheit, mit einem symphonischen Orchester zusammenarbeiten zu dürfen; eine Gelegenheit, die sie als großes Geschenk empfinden.

… und am Strand

Dies Empfinden aber gilt nicht weniger für die deutschen Gäste. Im Anschluss an die gemeinsame Probe fand man sich am Strand ein, wo seitens der Mauritier sogleich Gitarre und Rhythmusbox ausgepackt wurden, um drei Stunden lang ununterbrochen zur landestypischen Sega-Musik zu tanzen und zu singen. Manch deutscher Hüfte müsste da erst die erforderliche Geschmeidigkeit beigebracht werden. Aber wo käme man besser zusammen, als bei Tanz und gemeinsamer Musik? Von dem savoir-vivre à la mauricienne wird jedenfalls wohl mancher der Gäste etwas mit nach Hause nehmen.

Sega im Lehár

Sega-Training

Sega-Training: Mauritische Perkussionisten bringen den deutschen Schlagwerkern die traditionellen Rhythmen bei.

Die Produktion der Veuve joyeuse ist ein wahrlich internationales Projekt, auch das hatte Sullivan bei der Pressekonferenz betont. SolistInnen und Chor sind mauritisch, das komplette Team hinter der Bühne ebenfalls. Aus Deutschland kommen die Co-Regisseurin Angela Brandt, der Dirigent Martin Wettges, die Studienleiterin und Korrepetitorin Eva Pons, der Ton-Ingenieur Michael Kennedy und eben das Orchester hinzu. Seit August hat Pons intensiv mit den Sängerinnen und Sängern gearbeitet und mit ihnen die Rollen musikalisch einstudiert.

Beide Kulturen in der Veuve vereint

Auf der Bühne steht auch die Sängerin Linzy Bacbotte, die in Mauritius als Königin der Sega-Musik alle kennen. Regisseur Sullivan hat eigens für sie drei Chansons auf Kreol komponiert, die die mauritische Interpretation der Veuve unterstreichen. Damit wird Lehárs Musik nicht nur durch drei zusätzliche, typisch mauritische Nummern erweitert, zum Teil wird sogar die Original-Partitur selbst mit dem charakteristischen Rhythmus unterlegt – was eine phantastische, ganz eigene Synthese ergibt. Für diese Nummern wird das deutsche Orchester ergänzt von drei Mitgliedern aus Bacbottes Band, die ihrerseits den Schlagzeugern des Orchesters die originalen Rhythmen beibrachten, die traditionell auf Triangel, Gitarre und Ravanne, einer großen, flachen Felltrommel, gespielt werden.

Sega, für großes Orchester

Die drei eigens von Sullivan komponierten Chansons wurden wiederum orchestriert von einem mauritischen Nachwuchs-Komponisten, Sébastien Domingue. Für ihn war es eine willkommene Gelegenheit, intensiv mit Eva Pons und Martin Wettges an Satz und Harmonie zu feilen und in gemeinsamen Proben auch Impulse direkt aus dem Orchester aufzunehmen.

Domingue

Hier entsteht Musik: der mauritische Komponist Sébastien Domingue bei der Arbeit an der Partitur, gemeinsam mit dem Orchester und Dirigent Martin Wettges

Gänsehaut allerorten

Auch jenseits der Veuve wird viel gemeinsam Musik gemacht: Während der gesamten Woche zwischen den Vorstellungen besuchen InstrumentalistInnen jeden Nachmittag die Musikschule „Vent d’un rêve“, um mit den Kindern an Musik und Spieltechnik zu arbeiten. Sichtbar wird diese Kooperation dann in einem gemeinsamen Konzert, das in der ersten Hälfte von den Kindern und in der zweiten von einem Streichquartett des Orchesters bestritten wird. Und für die Kinder sicher nicht minder spannend: der Besuch der Generalprobe der Veuve, mitsamt einer Einführung. Gänsehaut auch hier.

Vent d'un rêve

Opernakademie-TeilnehmerInnen unterrichten und begleiten in „Vent d’un rêve“

Regenbogen-Vielfalt durch Musik und Austausch

Mauritius ist in seiner gesamten Geschichte immer ein internationaler Staat gewesen, in dem die diversesten Kulturen zusammenkamen. In den dunkelsten Kapiteln geschah das unter großem Zwang und unter menschenunwürdigen Bedingungen. Aber wenn es, in Sullivans Worten, unter dem Zeichen des Regenbogens geschieht und in der völkerverbindenden Sprache der Musik, dann ist das etwas ganz Wunderbares. Die ganz eigentümliche Magie des Kulturkontakts.

Regenbogen-Tür

Mauritische Regenbogen-Tür mit Dodo in der Inszenierung

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